Aus einer Zuckerfabrik wird eine Gedenkstätte
Das ehemalige Direktionsgebäude in Ahrensbök/ Holstendorf
Der Direktor sollte standesgemäß wohnen. Als im Jahr 1883 im Ahrensböker Ortsteil Holstendorf neben einer Zuckerfabrik ein stattliches Direktionsgebäude erbaut wurde, enthielten die Pläne keinen Hinweis, dass dieses Haus Geschichte machen würde.
Dem Zuckerfabrikanten folgte neun Jahre später der Direktor der Chemischen Fabrik Dr. Christ aus Bad Schwartau, dann eine AG für chemische Produkte aus Berlin.
Diese „Schietfabrik“ vermietete das Haus 1932 an die Regierung in Eutin. Dort wurden im Rahmen des "Freiwilligen Arbeitsdienstes" - eine Maßnahme der Weimarer Regierung, um arbeitslose Jugendliche von der Straße zu holen -, Jugendliche des Reichsbanners (SPD) betreut. Sie mussten im April 1933 arbeitslosen Mitgliedern der als Hilfspolizei eingesetzten SA weichen.
Und am 3. Oktober 1933 wurde in der ehemaligen Villa am Rande der Gemeinde Ahrensbök von der Eutiner Regierung ein frühes Konzentrationslager eingerichtet, ein Vorgang, der Anlass war, dass das Haus Jahrzehnte später, am 8. Mai 2001, eine Gedenkstätte wurde.
Geschichte
Erst 1883 als Villa des Direktor einer Zuckerfabrik erbaut,
seit 2001 Gedenkstätte genutzt.
„Probebühne des Dritten Reichs“
Durch Wahlen am 15. Juli 1932 erhielt die NSDAP im damaligen Landesteil Lübeck des Freistaats Oldenburg, zu dem Eutin und Umgebung zählten, die parlamentarische Mehrheit und stellte den Regierungspräsidenten. Bereits seit 1930 erhielt die NSDAP bei Wahlen zunehmend mehr Stimmen. Folglich stand an der Spitze des Landesteils fortan ein Nationalsozialist, bevor Adolf Hitler im Januar 1933 Reichskanzler wurde.
Frühes Konzentrationslager
Mit der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ begannen die Nationalsozialisten überall im Deutschen Reich, ihre politischen Gegner*innen ohne richterlichen Beschluss einzusperren. Als die Amtsgerichtsgefängnisse in Eutin und Bad Schwartau überfüllt waren, wurde in Ahrensbök/Holstendorf ein Konzentrationslager eingerichtet. Als Villa eines Fabrikdirektors 1883 erbaut, hatte es bis 1933 unterschiedliche Zwecke erfüllt.
Bis zu 70 Häftlinge waren hier von Oktober bis Dezember 1933 gleichzeitig inhaftiert. Die meisten Häftlinge waren Mitglieder der KPD, der SPD oder der Gewerkschaften gewesen. Sie mussten unter Zwang im Wegebau arbeiten und wurden von der SA-Wachmannschaft misshandelt.
Das Real-Gymnasium in Ahrensbök sollte von der SA genutzt werden. Für den Unterricht der Schüler*innen wählte man das Gebäude in Ahrensbök/Holstendorf, das gerade noch als Konzentrationslager genutzt worden war. Die Häftlinge des Lagers mussten das Gebäude herrichten und wurden fortan in der Plöner Straße gefangen gehalten.
Eine Schule im KZ
Die Schülerschaft wurden einen Winter lang im ehemaligen KZ unterrichtet. Im März 1934 wurde das Gebäude geräumt, die Schule geschlossen. Die Schüler*innen konnten in Bad Schwartau oder Eutin weiterlernen. Die Schulbildung erfuhr im Nationalsozialismus eine strenge Ausrichtung an der Ideologie der NSDAP, „Rassenkunde“ und menschenverachtende Mathematikaufgaben gehörten zum Unterricht.
Gründung der "Flachsröste GmbH"
1936 wurde in Ahrensbök die "Flachsröste GmbH" gegründet. Auf den Feldern in der Umgebung wurde nun auch Flachs angebaut, der in dem Betrieb weiterverarbeitet wurde zu Leinenstoff. Das Gebäude an der Straße nach Scharbeutz wurde Sitz des Verwalters der Firma und seiner Familie. Nach dem Krieg existierte der Betrieb noch bis 1956.
Emigration der Familie Beckhard aus Ahrensbök
Die Familie des anerkannten Tierarztes Beckhard war jüdischen Glaubens. Hermann Beckhard starb 1935. Seine Hinterbliebenen sahen sich 1938 gezwungen, ihr Haus unter Wert zu verkaufen, Deutschland zu verlassen und in die USA auszuwandern. Die Familienmitglieder gehörten zu insgesamt zehn Ahrensbökern, die nach den Nürnberger Gesetzen als „Juden“ bzw. „Mischlinge“ galten. Eine Tochter von Hermann Beckhard starb im Konzentrationslager Theresienstadt, alle anderen überlebten den Nationalsozialismus.
Kriegsbeginn und Zwangsarbeit in Ahrensbök
Mit dem Kriegsbeginn 1939 wurden zunehmend Zwangsarbeiter*innen in der "Flachsröste GmbH" als Arbeitskräfte ausgenutzt. Sie kamen aus der Sowjetunion, Polen, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, Frankreich und den Baltischen Staaten. Sie schliefen in Baracken auf dem Gelände der Flachsröste. Über ihr Schicksal ist wenig bekannt.
Todesmarsch durch Ahrensbök
Ab Beginn des Jahres 1945 wurden KZ-Häftlinge durch die SS aus den Konzentrationslagern heraus und auf sogenannte Todesmärsche getrieben. Es sollte verhindert werden, dass Soldaten der Alliierten die Häftlinge zu sehen bekamen und die von der SS begangenen Verbrechen erkannten. Häftlinge, die im Januar 1945 das Konzentrationslager Auschwitz in Polen verlassen mussten, kamen zusammen mit Häftlingen aus dem Lager Mittelbau-Dora in Thüringen im April 1945 in Ostholstein an. Sie mussten von Lübeck quer durch Ostholstein bis zur Neustädter Bucht marschieren. Ihr Weg führte auch durch Ahrensbök. Geschlafen wurde in Scheunen und Hallen, zu essen und zu trinken bekamen die Häftlinge nur unregelmäßig etwas Brot und Wasser. In der Neustädter Bucht wurden sie auf Schiffe verladen. Die britische Luftwaffe bombardierte die Schiffe am 3. Mai 1945, weil sie deutsche Truppen auf den Schiffen vermutete. Über 7.000 Häftlinge, auch aus anderen Lagern, starben.