Der bagatellisierte Massenmord Die „Reichsscherbenwoche“ von 1938 im deutschen Gedächtnis
„Eine Welle der Zerstörung, der Plünderung und Brandstiftung, wie man sie in Deutschland seit dem Dreißigjährigen Krieg und in Europa seit der Bolschewistischen Revolution nicht erlebt hat, überflutete Großdeutschland.“ So beschrieb die amerikanische Tageszeitung New York Times die reichsweiten, gewaltsamen Ausschreitungen gegen die deutschen Juden im November 1938. Die systematische Welle von Gewalt, Mord und Zerstörung im November 1938 markierte für das deutsche Judentum einen tiefen Einschnitt.
In diesem Jahr jähren sich die Novemberpogrome von 1938 zum 83. Mal. „Als die Synagogen brannten. Die lange Geschichte der Bagatellisierung der Novemberpogrome 1938“ heißt ein Vortrag zu dem der Trägerverein am Sonntag, den 7. November 2021, um 15.00 Uhr in die Gedenkstätte Ahrensbök einlädt. Referent dieses Vortrags, der im vergangenen Jahr wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden musste, ist der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Harald Schmid, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten. Er stellt die Frage, weshalb die Novemberpogrome seit 1945 häufig nur bagatellisierend erinnert und so die Erfahrungsgeschichte der Opfer ebenso wie die breite Täter- und Mitwisserschaft verharmlost werden, in den Mittelpunkt seines Vortrags.
Die Judenverfolgung hatte sofort nach der Machtübertragung begonnen. Bereits wenige Wochen nach dem 30. Januar 1933 riefen die Nationalsozialisten zum Boykott jüdischer Geschäfte auf; 1935 folgten die „Nürnberger Gesetze“, die den deutschen Bürger*innen jüdischen Glaubens die Reichsbürgerschaft absprach. War anfangs die Politik des NS-Regimes auf Ausgrenzung und Vertreibung jüdischer Bürger und Bürgerinnen ausgerichtet, wurde die Gewaltwelle vom November 1938 zum ersten Massenmord an jüdischen Deutschen. Deshalb, so Referent Schmid, habe es keine „Pogromnacht“ - im Volksmund und in der Öffentlichkeit verniedlichend „Reichskristallnacht“ genannt – gegeben, sondern eine „Pogromwoche mit zigtausenden Tätern und hunderttausenden Zuschauern“. Mehr als tausend Juden starben, circa 30.000 Männer wurden in Konzentrationslagerdeportiert, etwa 1400 Synagogen wurden angezündet, zehntausend Geschäfte, Betriebe, Wohnungen, Heime, Schulen und Friedhöfe zerstört.
Interessierte sind zu diesem Vortrag in die Gedenkstätte eingeladen. Es gelten die vorgeschriebenen Hygiene- und Abstandsverordnungen der am Tag des Besuchs gültigen Verordnung des Landes Schleswig-Holstein.
Keine „Pogromnacht“ sondern eine „Pogromwoche“: Referent Harald Schmid
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