V E R E I N S I N T E R N A 
 
Mit Zuversicht ins dritte Jahrzehnt
Gedenkstätte Ahrensbök besteht 20 Jahre


Wie man damals den Mut aufbrachte, in einem maroden, seit Jahren ungenutzten, Haus eine Gedenkstätte einzurichten, löst bis heute manchmal Kopfschütteln aus. Es gab nicht wenige, die dem Projekt keine Zukunft prophezeiten, etliche, die ihm den baldigen Niedergang wünschten. Zwei Jahrzehnte später, am 8. Mai 2021, wird der Trägerverein in einer Feierstunde feststellen, dass die Gedenkstätte Ahrensbök nach zwanzig Jahren fest in der schleswig-holsteinischen Gedenkstättenlandschaft verankert ist.

Die Gedenkstätte Ahrensbök ist eine besondere Einrichtung. Sie ist in dem einzigen in Schleswig-Holstein noch erhaltenen Gebäude untergebracht, in dem 1933 ein frühes Konzentrationslager eingerichtet war. Wie kein anderer Gedenkort in Schleswig-Holstein werden hier Anfang, Alltag und Ende der nationalsozialistischen Diktatur an regionalen Beispielen dokumentiert. Den Anfang 1933 zeigt eine Ausstellung über das frühe KZ in der ehemaligen Dienstvilla eines Fabrikanten. Der Alltag, 1934 bis 1945, wird in Ausstellungen über Zwangsarbeit in Ahrensbök, NS-Bildung am Beispiel einer Lehrerinnenbildungsanstalt im Ort und der Enteignung jüdischer Bürger gezeigt. Zum Ende, im April 1945, zieht ein Todesmarsch aus zwei Konzentrationslagern durch die holsteinische Gemeinde. Mit einer Ausstellung über den Todesmarsch „Von Auschwitz nach Holstein“ wurde die Gedenkstätte am 8. Mai 2001 eröffnet.

Es war der Alvesloher Regionalforscher Gerhard Hoch, der in den 1990er Jahre die Gedenkarbeit in Ahrensbök angestoßen hatte. Sein Vortrag über den Todesmarsch, den er erforschte und niederschrieb, war Anlass der Gründung einer Bürgerinitiative, der späteren Gruppe 33, die sich unter Leitung des damaligen Ahrensböker Pastors Michael Schwer auf Spurensuche machte, dabei auf das leer stehende Gebäude an der Bundesstraße 432 stieß und seine historische Bedeutung erkannte.

In der Gruppe 33 brach eine heftige Diskussion aus. Konnte eine Bürgerinitiative mit einer überschaubaren Zahl von Mitgliedern es wagen, dieses historisch singuläre aber stark sanierungsbedürftige Haus zu erwerben? Die Befürworter*innen setzten sich durch und gründeten am 8. Mai 2000 einen Trägerverein, um in dem ehemaligen Direktorenhaus einer Zuckerfabrik eine „Dokumentations- und Ausstellungsstätte, eine Gedenk- und Nachdenkstätte, eine überregionale Begegnungs- und Bildungsstätte“ einzurichten. Mit öffentlichen Mitteln des Landes, des Kreises Ostholstein und der Gemeinde Ahrensbök wurde das Gebäude erworben. Zur Eröffnung am 8. Mai 2001, kamen zwei Überlebende des Todesmarsches, Sam Pivnik aus England und Albert van Hoey aus Belgien.

Die Aktivitäten der Gruppe 33 waren Ende der 1990er Jahre keineswegs willkommen in Ahrensbök. Erstmals nach 1945 wurde die Zeit zwischen 1933 und 1945 in aller Öffentlichkeit thematisiert, machte Schlagzeilen in der lokalen Presse, was einigen in Ahrensbök gar nicht gefiel. Man sprach von „Nestbeschmutzern“, warf der Bürgerinitiative vor, „sie wolle nur aufrechnen und uns an den Pranger stellen“. Es gab Drohanrufe, Drohbriefe. „Anstifter“ Hoch wurde gewarnt, er brauche „Polizeischutz, wenn er wieder nach Ahrensbök kommt“. Pastor Schwer wurde geraten, „diesen Quatsch sein zu lassen“.

Solche und andere Widrigkeiten der Anfangszeit konnten die Mitglieder des Trägervereins nicht entmutigen. Neben eigenen Renovierungsanstrengungen wurde von Anfang an intensiv Gedenkarbeit geleistet. Vorrangig junge Menschen sollten erfahren, welches Unrecht vor den Haustüren der Häuser ihrer Eltern und Großeltern, in den Straßen ihrer Gemeinde geschehen war. Junge Menschen wurden außerdem früh zur Mitarbeit eingebunden. Auf einem von Schülerinnen und Schülern gebauten Modell wird der Weg gezeigt, den die Häftlinge von Lübeck über Ahrensbök nach Neustadt marschieren mussten. Ein anderes Modell zeigt die Baracken des Auschwitz-Nebenlagers Fürstengrube, aus dem der Todesmarsch seinen Anfang nahm.

Referate über das frühe KZ, Bildung im Nationalsozialismus oder Zwangsarbeit gehörten von Anfang an zu den Schwerpunktthemen der Gedenkstätte. Da anfangs das Haus nur während der Sommermonate nutzbar war, fanden abendliche Vorträge, Lesungen, Besuche von Zeitzeugen, Erzählcafés im alten Rathaus von Ahrensbök statt. Interessierte saßen häufig dicht gedrängt, wenn der Bremer Historiker und Hochschullehrer Jörg Wollenberg anreiste, um beispielsweise Vorträge zu historischen Jahresstagen wie dem 8. Mai („Befreiung oder Niederlage?“) oder aus Anlass des Antikriegstags am 1. September („Frühe Konzentrationslager in der öffentlichen Wahrnehmung“) zu halten.

Wollenberg war wissenschaftlicher Begleiter der ersten Stunde. Als sich die Bürgerinitiative in Ahrensbök Mitte der 1990er Jahre formierte, hatte er bereits Jahrzehnte lang geforscht. Der gebürtige Ahrensböker lieferte zuerst der Gruppe 33, später dem Trägerverein das historische Fundament für die Gedenkarbeit, wurde Vorstandsmitglied, Mitbegründer der Gedenkstätte, konzipierte mit seinem früh verstorbenen Kollegen und Freund, dem kanadischen Historiker Lawrence D. Stokes, die Ausstellung über das frühe KZ. Bis heute scheut er nicht den Weg von Bremen nach Ahrensbök, um die Gedenkarbeit zu fördern. Zuletzt ließ er sich als Zeitzeuge für einen Dokumentarfilm befragen, wie er als Schüler den Todesmarsch durch Ahrensbök und die Cap-Arcona-Katastrophe am Ostseestrand wahrgenommen hatte.

Zeitzeugen und ihren Nachkommen zu begegnen und zu befragen, solange das möglich ist, gehört zu den vorrangigen Aufgaben des Trägervereins. Schon vor Eröffnung der Gedenkstätte wurden zur Jahrtausendwende Samuel und Judith Taube, er ein Auschwitz-Überlebender, sie eine Überlebende des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück, nach Ahrensbök eingeladen. Aus Holland kamen der Überlebende Nicolas Vos und sein Sohn Hans. Später reiste Henry Bawnik mit Frau und großer Familie - drei Töchtern, Schwiegersöhnen, fünf Enkelkindern – aus den USA an. Zum zehnten Jahrestag der Gedenkstätte wurde Bogdan Siewierski, Sohn polnischer Zwangsarbeiter, eingeladen. Einige dieser Begegnungen hielt die Husumer Filmemacherin Martina Fluck fest; ihre Filme sind beständige Zeitdokumente.

Am 17. März 2003 wurde die Gedenkstätte ins Denkmalbuch des Landesamtes für Denkmalpflege eingetragen. Nicht wegen der besonderen Architektur als schlichter wenn auch geräumiger eingeschossiger Backsteinbau, typisch für die Zeit seiner Erbauung 1883. Das Gebäude wurde vielmehr „wegen der besonderen historischen Bedeutung im öffentlichen Interesse“ als Denkmal ausgezeichnet, was Segen und Fluch zugleich war. Segen, weil sich das Haus nun für Zuschüsse der Denkmalpflege qualifizierte. Fluch, weil nun jede Fußleiste, die ersetzt wurde, den Vorstellungen von strengen Denkmalschützern in holsteinischen Amtsstuben Genüge leisten musste.

Noch war mit dem Haus kein Staat zu machen. Zwar hatte die Kieler Landesregierung 2002 die Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten gegründet, um „Einrichtungen und Projekte, die sich dem Opfergedenken, der Aufklärung und Erforschung der Zeit des Nationalsozialismus widmen“, zu fördern. Doch weil die Stiftung anfangs finanziell begrenzt ausgestattet war, gab es nur kleine Zuschüsse. Inzwischen erhält die Bürgerstiftung ausreichend Landesmittel, um nicht nur einzelne Projekte, sondern auch Institutionen, darunter die Gedenkstätte Ahrensbök, zu fördern. So wird anno 2021 erstmals in Ahrensbök die Dreiviertelstelle einer hauptamtlichen Leitung finanziert.

Dazwischen lagen viele Jahre, in denen der Trägerverein sich mühte, mit Spenden und den Beiträgen seiner Mitglieder das marode Haus vor dem Verfall zu bewahren. Es gab fleißige Helfer, die jeden Sommer aus verschiedenen Teilen Europas anreisten. Unter Anleitung der Ahrensböker Jugendbetreuerin Barbara Braß, die zehn Jahre lang einen Teil ihres Jahresurlaubs nutzte, um internationale Jugendsommerlager – in Zusammenarbeit mit der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste - durchzuführen, wurden Löcher in Decken und Wänden gestopft, Fenster lackiert, Kellerräume von Schutt, Wände und Decken vom Schimmel befreit. Als während eines starken Gewitters Regenmassen durch die Kellerwände drückten und das Untergeschoss unter Wasser setzte, legte ein Bagger die Grundmauern frei, während die jungen Helfer*innen in die Grube rund um das Haus sprangen, um das Fundament mit Bitumenanstrich abzudichten.

Internationale Jugendsommerlager gehörten von Anfang an zur Gedenkarbeit in Ahrensbök. Bereits zwei Jahre, bevor der Trägerverein das Haus an der Flachsröste erwarb, hatten die Gruppe 33 und ihre Vorsitzende Braß das Wegzeichen-Projekt initiiert. Unter Anleitung des Berliner Künstlers Wolf Leo formten 15 junge Menschen im Alter zwischen 16 und 33 Jahren aus Polen, Tschechien, Weißrussland und aus der Bundesrepublik 14 Stelen aus Beton mit eingelassenen Tontafeln und Tonfiguren. Die Stelen wurden in all den Orten zwischen Lübeck und Neustadt aufgestellt, durch die im April 1945 etwa 500 KZ-Häftlinge getrieben wurden. Nach mehrjähriger Pause wird 2021 wieder ein Jugendlager stattfinden, dieses Mal von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen des Projekts „Jugend erinnert“ finanziert.

Der Durchbruch kam 2008 als die ostholsteinische Bundestagsabgeordnete Bettina Hagedorn, Mitglied des Trägervereins, eine 50-prozentige Bundesförderung aus dem Sondertopf „Behebung eklatanter baulicher Mängel bei Baudenkmälern von nationaler Bedeutung“ vermittelte. Während die Sanierungsarbeiten des Erdgeschosses endlich beginnen konnten, mussten 85.000 Euro an Spenden gesammelt werden, um den Förderbetrag des Bundes zu ergänzen. Die Sanierung des Obergeschosses erschien hingegen wie eine leichte Übung, als die Landesregierung erstmals ausreichend Mittel aus dem „Investitionsprogramm Kulturelles Erbe“ zur Verfügung stellte.

Wer sich erinnert, wie Haus und Gelände im Jahr 2000 aussahen, ist beeindruckt, was daraus geworden ist. In hellen Räumen auf zwei Etagen können Besucherinnen und Besucher sich in den Dauerausstellungen über die Schwerpunktthemen des Hauses informieren. In einem Video-Raum werden Dokumentarfilme angeboten, die zum Teil auf Initiative des Trägervereins entstanden. Es gibt eine Bibliothek mit mehr als tausend Fachbüchern, die ausgeliehen werden können. In einem geräumigen Konferenzraum können Besuchergruppen wie Schulklassen sich eigene Themen erarbeiten, kann diskutiert und referiert werden. Sonntags werden - außerhalb von Pandemiezeiten - Vorträge in Ton und Bild, Referate, kleine Konzerte u. a. angeboten.

Auch das äußere Erscheinungsbild ist ein anderes geworden. Ein großzügig ausgebauter Parkplatz, gefördert aus Landesmitteln, erlaubt das Rangieren von (Schul-)Bussen, damit diese nicht mehr auf der viel befahrenen Bundesstraße halten müssen. Eine metallene Fluchttreppe führt vom Parkplatz in den ersten Stock. Und demnächst werden die zerfallenen Steinpfosten einem denkmalgerechten Zaun weichen müssen, der - wie früher - das Grundstück von der Straße trennt. Und weil es seit langem keine Drohbriefe, keine Drohanrufe mehr gibt, immer mehr Besucher und Besucherinnen aus der nahen Umgebung und regelmäßig Vertreter der Gemeinde zu Veranstaltungen kommen, blicken die Aktiven des Trägervereins zuversichtlich in das nächste Jahrzehnt.

8. Mai 2021
 
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