GERHARD HOCH: ANSTIFTER DER ERSTEN STUNDE 
DER HISTORIKER AUS KALTENKIRCHEN WAR DEM TRÄGERVEREIN ENG VERBUNDEN
 
Gerhard Hoch war ein Anstifter, der viele bewog, aktiv in die Gedenkarbeit einzusteigen.
Er hat auch die angestiftet, die am 8. Mai 2001 die Gedenkstätte Ahrensbök gründeten.

Es war am Vorabend des Buß- und Bettags 1996. Im Bürgerhaus von Ahrensbök wurde ein Freund angekündigt, der Klezmer-Musik spielen wollte. Dieser Freund hatte im Jahr zuvor eine Reise nach Polen “Auf den Spuren des ermordeten Judentums“ organisiert. Zwar trug Ulrich George an diesem Abend jiddische Lieder vor und spielte Klezmer auf seiner Gitarre. Doch der Anlass des Abends war ein anderer.

Michael Schwer, evangelischer Pastor in Ahrensbök, hatte Gerhard Hoch eingeladen. Hoch referierte im gut besetzten Bürgerhaus über ein Thema, das in Ahrensbök jahrzehntelang tot geschwiegen wurde: Das Thema war der Todesmarsch von etwa 500 KZ-Häftlingen aus den Konzentrationslagern Auschwitz-Fürstengrube und Dora-Mittelbau, die im April 1945 durch den Raum Ahrensbök getrieben wurden, hier 14 Tage lang in den Scheunen von Siblin und auf Gut Glasau eingesperrt waren, bevor sie Anfang Mai 1945 nach Neustadt marschieren mussten, dort auf drei in der Bucht liegenden Schiffe eingesperrt wurden. Und wo die meisten nur Tage vor der Befreiung während eines britischen Bombenangriffs am 3. Mai 1945 ihr Leben verloren.

Gerhard Hoch beschrieb eindringlich, wie die 500 Elendsgestalten durch die Dörfer des südöstlichen Holsteins getrieben wurden. Dass sie krank waren, ausgehungert, ausgemergelt, sich in Holzpantinen, manche barfuß, über die Straßen schleppten, an Häusern vorbei in denen damals unsere Eltern und Großeltern wohnten. Dass vor unseren Haustüren bewaffnete SS Männer bis kurz vor dem Kollaps der NS-Diktatur Menschen ermordeten, weil sie zusammenbrachen, weil sie austreten mussten, weil sie - wie uns ein Mitglied und Zeitzeuge bis heute erzählt - sich einen Stecken zum Aufstützen wünschten.

Es war wohl das erste Mal, dass Gerhard Hoch vor einem wirklich interessierten Publikum in Ahrensbök sprechen konnte. An diesem Abend war ihm große Aufmerksamkeit in einem gut besetzten Haus sicher. Zwar musste er sich auch hier die üblichen Vorwürfe anhören, wie: Es müsse endlich Schluss sein im Herumwühlen der Vergangenheit. Man solle die alten Leute in Frieden lassen. Aber: Man hörte ihm zu. Man stellte ihm Fragen. Man riss ihm die letzten Exemplare seines 1990 erstmals publizierten Buchs „Von Auschwitz nach Holstein“ aus den Händen.

Das war in der Zeit davor anders gewesen. Wenige Jahre früher hatte ein anderer Ahrensböker Pastor, Dietrich Sprung, Hoch schon mal nach Ahrensbök eingeladen.
Schon einmal sollte und wollte Hoch interessierte Ahrensböker darüber aufklären, was sich im April 1945 in ihren Straßen, vor ihren Haustüren zugetragen hatte. Pastor und Referent warteten vergeblich an diesem Abend im Schützenhof auf Interessierte. Niemand war interessiert. Keiner kam.

Gerhard Hoch kannte sich aus in dieser Region. Als er, beispielsweise, am 14. September 1989 während einer so genannten Hoffnungswanderung für Südafrika in den Ahrensböker Ortsteil Bokhof kam, machte er eine Pause. Er schilderte an diesem Ort seinen Mitwanderern, wie hier am Straßenrand Menschen erschossen wurden, nachdem man sie aus dem fernen Auschwitz bis nach Holstein getrieben hatte. Teilnehmer erinnern sich bis heute an diese bewegende Gedenkpause.

Es war die Zeit der intensiven Recherchen für sein Buch „Von Auschwitz nach Holstein“. Gerhard Hoch betrieb seine Forschungsarbeit gegen alle Widerstände und mit bewundernswerter Akribie. Dabei hat er viele Widrigkeiten hinnehmen müssen. Monate zuvor, im April 1989, war er für eine NDR-Dokumentation über „Das KZ auf dem Bauernhof“ mit zwei Überlebenden in der Gemeinde. Es ergab sich, dass ein Ahrensböker Tankstellenbesitzer mit den Zeitzeugen ins Gespräch kam. Als er erfuhr, dass die beiden Besucher jüdischen Glaubens waren, beleidigte er sie mit den Worten: „Der Jude hat von jeher die Kriege gemacht. Und er wird auch weiterhin Kriege machen.“

Die Reihe lässt sich fortsetzen. Es hat Gerhard Hoch bis an sein Lebensende gekränkt, welche Steine man ihm in den Weg legte, als er für Recherchen über den Todesmarsch in den 1980er Jahren im Raum Ahrensbök unterwegs war.
  • Beispiel Schmidt: Hoch versuchte vergeblich mit Max Schmidt, dem Lagerführer aus Auschwitz, dem Verantwortlichen des Todesmarsches, ins Gespräch zu kommen. Stattdessen wurden ihm rechtliche Schritte angedroht.
  • Beispiel evangelische Kirche: Vergeblich versuchte Hoch in Saraus Kirchenchronik zu forschen. Pastorin, Kirchenvorstand und Nordelbisches Kirchenamt verweigerten ihm die Einsicht.
  • Beispiel „Ahrensböker Nachrichten“: Der Chefredakteur verwehrte ihm das Studium der Archivbände der kleinen unbedeutenden Lokalzeitung.
  • Beispiel SPD: Die Genossen stellten sich schützend vor ihren Mitbürger, den ehemaligen SS-Oberscharführer, den Auschwitz-Lagerkommandanten Max Schmidt.
Der Buß- und Bettag Anno 1996 aber brach die „Front der Abwehr“, so O-Ton Hoch.
Sein Vortrag hatte einige im Publikum sehr bewegt. In den folgenden Monaten traf sich mehrfach eine Gruppe von Interessierten im Pastorat der Ahrensböker Kirche. Es wurde beschlossen, Hochs Anregung aufzugreifen und Kontakte zu Überlebenden des Todesmarschs zu suchen. Gerhard Hoch nannte Namen, vermittelte Adressen von drei Überlebenden. Die Gruppe formulierte gemeinsam einen „Brief für die Menschlichkeit“. Fünfzig Männer und Frauen erklärten mit ihren Unterschriften: „Vermutlich zum ersten Mal seit April 1945 stellten Menschen, die in und um Ahrensbök leben, sich dem Grauen dieses Todesmarsches, um darüber zu sprechen...“

Einer der drei Überlebenden antwortete. Sam Pivnik wurde eingeladen. Er reiste im Juni 1998 aus London an. Gemeinsam mit Gerhard Hoch wurden erstmals in Ahrensbök in einer Veranstaltung mit Presse, Bürgervorsteher und Bürgermeister öffentlich thematisiert, dass bis wenige Tage vor der Befreiung schweres Unrecht, massive Menschenrechtsverletzungen in und um Ahrensbök herum geschehen waren. Gerhard Hoch konnte an diesem Tag die Neuauflage seines Buchs „Von Auschwitz nach Holstein“ in einer feierlichen Veranstaltung in der Gemeindebücherei vorstellen. Pastor Schwer hatte Geldgeber und einen neuen Verlag (Dölling und Galitz, Hamburg, 1998) gefunden.

Im Mai 1998 hatte sich die Gruppe 33 konstituiert, die sich als Arbeitsgemeinschaft für Zeitgeschichte verstand. Gerhard Hoch muss als Pate dieser Bürgerinitiative bezeichnet werden. Obwohl anfangs die Mehrzahl der Mitglieder und Interessierten Ahrensböker Bürger und Bürgerinnen waren, die in der Gemeinde wohnten und arbeiteten, wurden die Aktivitäten der Gruppe 33 vor Ort keineswegs begrüßt. Es gab hässliche Reaktionen. Gerhard Hoch wurde gewarnt, wenn er „nochmal nach Ahrensbök komme, brauche er Polizeischutz“.

Gerhard Hoch hat in all den Jahren des gemeinsamen Engagements keinen Polizeischutz in Ahrensbök verlangt. Er legte regelmäßig die fast zweistündige Fahrt von seinem Wohnort Alveslohe nach Ahrensbök zurück, um die Arbeit der Gruppe 33 zu begleiten. Im Spätsommer 1999 formten 15 junge Menschen aus vier europäischen Staaten zusammen mit dem Berliner Künstler Wolf Leo während eines internationalen Jugendsommerlagers Stelen aus Ton und Beton. Sie wurden als Wegzeichen in den Orten Ostholsteins aufgestellt, durch die 1945 der Todesmarsch führte. Für Gerhard Hoch ging ein „Traum in Erfüllung“, wie er damals sagte.



Gerhard Hoch: Im Gespräch mit Teilnehmenden des internationalen Jugendsommerlagers.

Es gab allerdings auch Dissens. Der Diskurs innerhalb der Gruppe 33 konnte sehr kontrovers sein. Insbesondere die Rolle des Lager- und Transportführers, SS-Mann Max Schmidt, wurde unterschiedlich beurteilt. Mahnungen Gerhard Hochs, dem „Kriegsverbrecher keine billige Selbstdarstellung zu verschaffen“, wurden von der Gruppe ernst genommen. Persönliche Kontakte Einzelner zu Schmidt konnten nicht verhindert werden. Hoch wurde von einigen u. a. ein „anklagender, zu emotionaler Ton“ vorgeworfen, was andere in der Gruppe besonders an ihm schätzten. Es kam zu Austritten, als die Mehrheit darauf bestand, in der ersten von mehreren geplanten Ausstellungen den Todesmarsch zu thematisieren. Die dazu eingerichtete Arbeitsgruppe musste auf Gerhard Hochs aktive Betreuung verzichten. „Mein Buch wird mich vertreten“, hatte er der Gruppe 33 schriftlich mitgeteilt.

Am 8. Mai 2000 wurde ein Trägerverein gegründet, in dem später die Gruppe 33 aufging. Der Trägerverein erwarb eine marode Immobilie, das ehemalige Wohn- und Verwaltungshaus einer Zuckerfabrik, 1933 Ort eines frühen Konzentrationslagers.
Und als ein Jahr später die Gedenkstätte Ahrensbök in diesem Gebäude eröffnet wurde, war zeitgleich erstmals die Ausstellung „Von Auschwitz nach Holstein“ auf 33 Tafeln zu sehen.
Gerhard Hochs Buch diente als eine der wichtigsten Quellen. Seine Texte wurden stellenweise – mit Nennung des Autors – wörtlich übernommen.

Den vereinsinternen Querelen zum Trotz blieb die Zusammenarbeit mit Gerhard Hoch eng und herzlich. Gerne besuchte er die Internationalen Jugendsommerlager auf dem Gelände der Gedenkstätte. Im Kreis junger Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt sprach er oft darüber, wie während der Jahre der NS-Diktatur ein ganzes Volk blind war, wie es Krieg und Unterdrückung seiner Nachbarvölker, Verfolgung und Ermordung von Millionen hingenommen hatte. Hoch stellte sich mit bewundernswerter Offenheit und Gradlinigkeit der Tatsache, dass auch er lange verblendet gewesen war, dass auch er als junger Mensch von der Minderwertigkeit anderer Völker überzeugt war. Bewegt lauschten ihm die jungen Leute, von denen einige aus Ländern kamen, die Opfer des deutschen Terrors gewesen waren.

Zu Veranstaltungen zum 60. Jahrestag des Todesmarsches durch Holstein kam Hoch in die Scheune von Siblin. Hier suchte er das Gespräch mit dem Überlebenden Henry Bawnik und seiner großen Familie, die den Zeitzeugen begleitete. Zum 10. Internationalen Jugendsommerlager, hatte die Leiterin Barbara Braß Gerhard und Gesa Hoch zu einem lauten Fest eingeladen. Beide kamen. Schließlich aber forderte das Alter sein Tribut. Gerhard Hoch scheute nun die lange Fahrt nach Ahrensbök und so reisten einige immer mal wieder nach Alveslohe, um den Gedankenaustausch lebendig zu halten.

Im Frühjahr 2004 übergab Gerhard Hoch dem Trägerverein ein großes Paket mit drei voll gepackten Leitzordnern. Sie enthielten seine schriftlich festgehaltenen Recherche-Ergebnisse, seine umfangreiche Korrespondenz, internationale und deutsche Dokumente, Fotos. Es ist sein Nachlass zum Thema Todesmarsch. Er überreichte uns das Konvolut mit den Worten: „Der Inhalt ist bei euch besser aufgehoben als bei mir“.

Gerhard Hoch wird in der Gedenkstätte Ahrensbök immer einen wichtigen Platz einnehmen – als Freund und als Anstifter für ein Engagement, von dem wir hoffen, dass es nie nachlassen wird.

Symposium „Zu Leben und Werk von Gerhard Hoch“, 25. Juni 2016
Monika M. Metzner-Zinßmeister
Mitunterzeichnerin des „Briefs an die Menschlichkeit“
Autorin, Kuratorin der Dauerausstellung „Von Auschwitz nach Holstein“,
2006 – 2012 Vorsitzende des Trägervereins Gedenkstätte Ahrensbök/Gruppe 33 e. V.
 
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